Ein Beitrag von Dr.-Ing. Susanne Leddig-Bahls.
Einleitung
Trinkwasser ist unser wichtigstes Lebensmittel und höchstes Gut. Die Qualität unseres Trinkwassers muss stets den hohen Ansprüchen der Trinkwasserverordnung genügen und in ausreichender Menge und Sicherheit zur Verfügung stehen. Basis der Versorgung sind nicht zuletzt unsere Versorgungsnetze aus Rohrleitungen verschiedenster Materialien und ihrer Armaturen und Einbauten.
Die Rohrleitungssysteme zur Versorgung mit Trinkwasser sind in die Jahre gekommen und weisen immer häufiger Schäden auf. Es kommt zu Undichtigkeiten beispielsweise durch Lochfraß, Innenkorrosion oder defekte Rohrverbindungen. Außerdem kann durch Inkrustationen in den Rohrleitungen der Durchfluss stark eingeschränkt und die Versorgung beeinträchtigt sein. Schäden an einer Trinkwasserleitung führen aufgrund des Innendruckes häufig zum Rohrbruch und somit zum Totalausfall der Versorgung an dieser Stelle. Eine vorausschauende Bewertung des Netzzustandes und die Erstellung von Sanierungsstrategien sind von entscheidender Bedeutung, um Ausfällen vorzubeugen und die Versorgung durchgehend sicherzustellen.
Trinkwasserleitungen – Eine besondere Herausforderung
Anders als bei Abwasserkanälen und -leitungen ist eine optische Inspektion zur Zustandsermittlung der Trinkwasserleitungen nicht regelmäßig durchführbar. Diese setzt eine Außerbetriebnahme der Leitungen sowie vor der Wiederinbetriebnahme eine Reinigung, Desinfektion und Hygienefreigabe voraus. Hinzu kommt, dass lange Rohrstrecken ohne Revisionsöffnungen vorliegen und eine Reinigung und Inspektion nur über Baugruben möglich wird. Somit fehlen häufig bei der Sanierungsplanung umfassende Zustandsdaten.
Trinkwasserleitungen werden unter Innendruck betrieben und die Betriebsbedingungen erzeugen zuweilen dynamische Druckverhältnisse durch verschiedene Abnehmer und Armaturen (z.B. Schieber). Netz- und betriebsabhängig kann sogar Unterdruck entstehen. Dies ist bei der Wahl geeigneter Sanierungsverfahren und Festlegung von Netzunterhaltungs-strategien zu berücksichtigen. Unterhaltungsmaßnahmen an Trinkwasserleitungen müssen stets schnell, hygienisch und sicher erfolgen, um die durchgehende Versorgung mit qualitativ einwandfreiem Trinkwasser zu gewährleisten.
Grabenarme Verfahren als Perspektive zur Trinkwassernetzunterhaltung
Trinkwasserleitungen, die das Ende ihrer technischen Nutzungsdauer nahezu erreicht haben, werden aufgrund ihrer häufig geringen Tiefenlage vielfach in offener Bauweise erneuert. Diese Maßnahmen lassen sich mit Straßensanierungsprojekten oder dem Ausbau der Gas-, Strom- und Telekommunikationsnetze kombinieren.
Sind keine weiteren Baumaßnahmen im Umfeld der Trinkwasserleitung erforderlich, stellen die aufwändige Erneuerung der Oberflächen aus Straßen, Wegen und Grünanlagen sowie die langen Bauzeiten und Belastungen für Anwohner, Gewerbe und Umwelt eine große Hürde dar. Darüber hinaus muss der Bodenaushub zur Herstellung des Rohrgrabens häufig entsorgt werden. Es fallen Bauschutt und belastete Abfälle an, die einer Deponie zugeführt werden müssen. Vielerorts fehlen absehbar Deponien und es sind schon jetzt lange Fahrwege zur Entsorgung zu berücksichtigen (Deponie-Notstand). Eine Perspektive bieten die grabenarmen Sanierungsverfahren, mit denen nicht zuletzt die Bauzeiten verkürzt, zu entsorgender Abfall minimiert und die Beeinträchtigungen für die Anwohner, Gewerbe und Umwelt reduziert werden können.
Höchste Flexibilität durch Trinkwasserschlauchliner
Im Trinkwasserbereich finden die Schlauchlinerverfahren seit über 20 Jahren Anwendung. Mit dem Einsatz dieser vor Ort härtenden Systeme können schadhafte Rohrleitungen auch bei erschwerten Zugänglichkeiten und mit komplexen Rohrverläufen grabenlos bzw. grabenarm saniert werden. Schlauchliner liegen eng an der Rohrleitung an und weisen geringe Wanddicken auf. Die hydraulische Leistungsfähigkeit der Trinkwasserleitung wird in der Regel nicht eingeschränkt.
Die Trinkwasserschlauchliner bestehen aus dem Trägerschlauch (Nadelfilz, glasfaserverstärkter Nadelfilz, Glasfaser, Gewebe), dem Reaktionsharzsystem (EP, UP, VE, PU), einer permanenten Innenfolie und bei Bedarf einer Außenfolie. Tabelle 1 gibt eine Verfahrensübersicht und Anwendungshinweise zu den Schlauchlinerverfahren im Trinkwasserbereich.
Die Klassifizierung der Kunststoff-Rohrleitungssysteme für die Renovierung und Erneuerung liefert die DIN EN ISO 11295. Die Liner der Klassen B und C stützen sich radial an der bestehenden Altrohrleitung ab und sind semi-statisch belastbar. Sie stellen die Dichtheit des Altrohres wieder her, überbrücken Löcher und undichte Rohrverbindungen und schützen die Rohrwandung vor Innenkorrosion. Während Liner der Klasse C mit dem Altrohr verkleben, weisen Liner der Klasse B eine eigene Ringsteifigkeit auf. Trägt das Altrohr auf Dauer nicht mit, kommen Liner der Klasse A zur Anwendung, die vollständig statisch belastbar sind.
In der DIN EN ISO 11298-4 werden Anforderungen und Prüfverfahren an „Vor Ort härtende Schlauchlinersysteme“ für die Renovierung von Wasserversorgungsnetzen festgelegt. Der Einsatz von „Schlauchlinern mit rückseitiger Verklebung“ (Gewebeschlauchverfahren) in Wasserleitungen ist im DVGW-Arbeitsblatt W 330 sowie im Arbeitsblatt GW 327 geregelt. Die DVGW GW 302-2 beinhaltet das „Schlauchlining mit rückseitiger Verklebung“ und wird in ihrer neuen Fassung (2021/ 2022) die grabenlosen Bauweisen zur Rehabilitation von Trinkwasserleitungen um das „Vor Ort härtende Schlauchlining“ erweitern.
RSV Merkblatt 1.3 – Der Praxisleitfaden für Trinkwasserschlauchliner
Die Anwendung von Schlauchlinern in Trinkwasserleitungen erfordert die Betrachtung des gesamten Druckrohrsystems bestehend aus dem Liner und seinen notwendigen Anbindungen und Anschlüssen. Die Verfahrensvielfalt und besonderen Anforderungen an die sichere Herstellung vor Ort und an die Qualität des neuen Rohres setzen umfangreiche Kenntnisse voraus und stellen Netzbetreiber, Ingenieurbüros, Hersteller und Einbauunternehmen zuweilen vor Fragestellungen, die in den vorhandenen Regelwerken nicht hinlänglich beantwortet sind.
Das neue RSV Merkblatt 1.3 „Renovierung von Trinkwasserleitungen mit Druckschlauchlinern“ kann hier unterstützen und dient als umfangreicher Leitfaden zur Anwendung von Schlauchlinern zur Trinkwasserleitungssanierung. Neben den geltenden Anforderungen an Materialien, Techniken und Verfahren werden hier die Grundlagen der Planung, Ausschreibung und Umsetzung beschrieben. Besonderes Augenmerk gilt den Verbindungen des Schlauchliners an das Trinkwassernetz sowie der Herstellung von Anschlüssen.
Installation der Schlauchliner
Die Schlauchliner werden vor Ort oder im Werk mit dem Reaktionsharzsystem getränkt und in die Rohrleitung eingebracht. Warmhärtende Systeme werden in der Regel materialschonend inversiert (eingekrempelt) unter Anwendung von Wasserschwerkraft (Inversionsturm) oder Druckluft (Drucktrommel). UV-/Kombinationshärtende Systeme werden zumeist in die Rohrleitung eingezogen und mittels Luftdruck aufgestellt. Eine Kombination aus Einziehen und Inversieren ist möglich. Die Härtung des Harzsystems erfolgt mittels Warmwasser, Heißdampf oder durch UV-Licht (Bild 2). Bei Gewebeschlauchverfahren sind auch Systeme im Einsatz, die bei Umgebungstemperatur härten.
Die mittels Schlauchliner sanierten Trinkwasserleitungen sind mit dem Druckleitungsnetz dauerhaft sicher zu verbinden, so dass der sanierte Rohrabschnitt verbindungsfähige Spitzenden oder Flanschverbindungen nach DIN EN 1092-1 erhält (Bild 3).
Die geeignete Verbindungstechnik wird gemäß örtlicher Anforderungen des Netzbetreibers, in Abhängigkeit des Altrohrzustandes, -materials und des Druckschlauchliners gewählt.
Anschlüsse an mittels Schlauchliner sanierte Trinkwasserleitungen
Trinkwasserleitungen weisen Armaturen, z.B. Ventile, Schieber, Hydranten und Hausanschlussleitungen auf, die nach der Sanierung zuverlässig wiederhergestellt werden müssen. In Abhängigkeit von der Größe und Anordnung des Anschlusses sowie vom eingesetzten Sanierungssystem können diese über Anschlussarmaturen angebunden werden oder es sind Passstücke vorzusehen und die Rohrenden zwischen der Armatur gemäß Bild 4 zu verbinden.
Die speziell für linersanierte Rohrleitungen entwickelten Anschlussarmaturen dichten mit Hilfe eines Innensattels direkt auf den im Rohr installierten Liner bzw. auf dessen Innenoberfläche ab (Bild 4).
In Erweiterung der vorhandenen Anschlussarmatur zur Montage von innen werden derzeit Anschlussarmaturen entwickelt, bei denen der Innensattel von außen durch die Bohrung geführt werden kann. Zudem soll eine sichere Anbindung bei in Betrieb befindlichen linersanierten Leitungen auf Basis marktüblicher Trinkwasseranbohrarmaturen ermöglicht werden.
Bei verklebten Gewebeschläuchen (Klasse C) können Abzweige bzw. Abgänge ab DN12 auch ohne Zusatzmaßnahmen neu erstellt oder wiederhergestellt werden. Die Abzweige können grabenlos von innen beispielsweise mit einem Fräsroboter geöffnet werden. Neue Abzweige werden von außen mit einem Anbohrwerkzeug erstellt. Der Anschluss wird mit klassischen Anschlussarmaturen oder Formteilen ausgeführt. Eine eigene Anbindung ist bei sicherer und wasserdichter Verklebung des Liners mit dem Altrohr nicht erforderlich.
Qualitätsprüfung des neuen Rohres
Aus dem neu entstandenen Rohr bzw. aus dem fertigen Druckschlauchliner werden Materialproben entnommen und in einem dafür akkreditiertem Prüflabor analysiert.
Die erreichte Härtung im Schlauchliner ist zu ermitteln und mit den Vorgaben der Eignungsprüfung und Trinkwasserzulassung zu vergleichen. Bei lösemittelfreien EP-Harzen werden die Glasübergangstemperaturen bestimmt, die in direkter Korrelation zum Härtungsgrad des Matrixsystems stehen. In Anwendung von UP- und VE-Harzen wird als Maß für die Härtung der Restmonomerengehalt (Lösemittelgehalt an Styrol oder Acrylat) ermittelt. Systemabhängig können ebenfalls Glasübergangstemperaturen definiert werden.
Zusätzlich zur Härtungskontrolle werden die mechanischen Eigenschaften an entnommenen Materialproben bestimmt. Der Nachweis der Materialeigenschaften erfolgt mittels Dreipunkt-Biegeversuch gemäß DIN EN ISO 178 oder Scheiteldruckversuch gemäß DIN EN 1228. Bei Gewebeschlauchlinern (Klasse C) wird hingegen die Verklebung im Schälversuch gemäß DVGW GW 327 bzw. DIN 30658-1überprüft.
Die renovierte und verbundene Leitung wird optisch inspiziert und eine Druckprüfung mit Wasser durchgeführt (gemäß DIN EN 805, DVGW W 400-2). Es ist zu berücksichtigen, dass das System aus Altrohr, Trinkwasserschlauchliner und Einbauten geprüft wird, so dass die Vorprüfzeiten abweichend zu den normativen Vorgaben sein können.
Nach positivem Abschluss der Druckprüfung wird das Desinfektionsmittel neutralisiert bzw. ausgespült und ein nicht versorgungswirksamer Probebetrieb der gesamten Rohrstrecke durchgeführt. Mittels Entnahme von Wasserproben (gemäß DVGW W 291) mindestens an der Einspeisung aus dem Netz zur Befüllung der Rohrstrecke und am Ende der sanierten Leitung wird die hygienische Unbedenklichkeit nachgewiesen.
Die Freigabe der Leitung erfolgt grundsätzlich durch den Betreiber. Nach der Freigabe kann die mittels Schlauchliner sanierte Rohrstrecke wieder an das Wasserversorgungsnetz angeschlossen werden.
Zusammenfassung
Durch die flexiblen Trinkwasserschlauchverfahren sind erstmals Bereiche in Druckrohrleitungsnetzen grabenlos sanierbar, für die zuvor keine geeigneten Sanierungsmethoden zur Verfügung standen. Die technischen Lösungen mit geeigneten und geprüften Schlauchverfahren, Verbindungstechniken und Anschlüssen liegen vor und werden in Zukunft weiter ausgebaut. Die Anforderungen an Materialien, Verfahren und Techniken sowie die Instrumente zur Qualitätssicherung wurden definiert und können angewendet werden.
Im Trinkwasserbereich stehen Hygiene und Verfahrenssicherheit an erster Stelle, so dass der richtigen Planung, Ausschreibung und Ausführung eine hohe Verantwortung zu Teil wird. Das Merkblatt des Rohrleitungssanierungsverbandes kann Hilfestellung leisten und als Ratgeber für alle am Projekt Beteiligte dienen.